Ursprünglich war Heiligendamm als Landschaftspark am Meer geplant. Dabei blieb es aber nicht lange. Neue Bauprojekte veränderten das Seebad im 19. Jahrhundert grundlegend. Im achten Teil seiner Geschichts-Serie erzählt Prof. Joachim Skerl die Entstehung der Weißen Stadt am Meer.
Die Geschichte Heiligendamms – Teil 8: Die Entstehung der Weißen Stadt am Meer

Ursprünglich war Heiligendamm als Landschaftspark am Meer geplant. Dabei blieb es aber nicht lange. Neue Bauprojekte veränderten das Seebad im 19. Jahrhundert grundlegend. Im achten Teil seiner Geschichts-Serie erzählt Prof. Joachim Skerl die Entstehung der Weißen Stadt am Meer.
Als Heiligendamm im Jahre 1893 seinen hundertsten Jahrestag mit einer großen Feier in Anwesenheit der großherzoglichen Familie beging, hatte sich der Ort wesentlich verändert. Die ursprüngliche Idee des Landschaftsparks am Meer war aufgegeben worden. Ein dreiseitig geschlossener Platz vor dem Kurhaus und ein von Gebäuden umgrenzter Straßenraum mit den Kolonnaden waren entstanden.
Doberan war 1879 zur selbständigen Stadt erhoben worden. 1884 wurde sie an die neue Bahnstrecke Rostock-Wismar angebunden. Die 1886 eröffnete Kleinbahnlinie „Molli“ von Doberan nach Heiligendamm schloss den Badeort an das öffentliche Verkehrsnetz an. Er war nun von Doberan in 15 Minuten zu erreichen. Bisher hatten zwei Privatomnibusse und die Post die öffentliche Verbindung aufrechterhalten.

1866 musste die Doberaner Spielbank, die bis dato die Haupteinnahmequelle für den Erhalt des Seebades war, geschlossen werden. Die großherzogliche Familie konnte die erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufbringen. Offensichtlich trug sich das Bad nicht selbst. Die große Sturmflut vom 13. November 1872 hatte so großen Schaden verursacht, dass sich Friedrich Franz II. „schweren Herzens“ endgültig für den Verkauf entschied. Zu Beginn des Jahres 1873 übernahm eine Aktiengesellschaft unter Baron von Kahlden – bis auf die drei westlichen großherzoglichen Cottages – den Ort.
Sofort wurde mit der Umsetzung der Erweiterungspläne begonnen, die schon im Jahr zuvor bei der renommierten Berliner Architekturfirma Heinrich Kayser und Karl von Großheim in Auftrag gegeben wurden. Zum dominierenden Gebäude wurde das neue Grand Hotel. Es begrenzt die östliche Seite des Platzraumes vor dem Severinschen Säulenbau, der nun als Kurhaus bezeichnet wurde. Bisher war der Platz östlich vom Waldsaum umgrenzt, an dem auch der Gedenkstein lag.
Der geschlossene viergeschossige Baukörper besitzt ein durch Putzfugen betontes Untergeschoss und wird durch barockisierende Fensterfassungen und Gesimse geschmückt. Zurückgesetzte und um ein Geschoss überhöhte Eckrisalite betonen die Eingangsfassade. Leicht vorgesetzte Loggien ordnen die Fassaden streng axial. Diese vielfältigen Gliederungsmotive mildern die Größe des Baukörpers und binden ihn maßstäblich in die bisherige Platzbebauung ein.
Die relativ aufwändige Gestaltung des Grand Hotels unterstrich den Neobarock der „Gründerjahre“. Sie kennzeichnen die Periode der Aufbruchstimmung nach dem 1871 gewonnenen Krieg. An den Heiligendammer Bauten dieser Zeit wird jedoch eine zu starke Plastizität zurückgenommen. Die architektonische Leistung liegt in der Einheitlichkeit des neu entstandenen geschlossenen Platzraumes. Das neue Hotel wird von innen über einen Lichthof erschlossen, ein beliebtes Architekturmotiv seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Filigrane Stahl-Glas-Abdeckungen hatten die konstruktiven Voraussetzungen geschaffen. Dadurch entsteht ein hoher, über alle Geschosse führender Eingangs- und Erschließungsraum von beeindruckender Wirkung. Der Atrium-Charakter des zentralen Innenhofes wird durch eine große Brunnenschale – wie bei römischen Häusern – betont.

Wie konsequent die städtebauliche Idee eines Platzraumes verfolgt wurde, zeigt sich am hinzugefügten Abschluss der Perlenkette. An die Villa Perle wurde ein Gebäude mit einer betonten Platzfassade angebaut. Eine kleine Säulenvorhalle, eine Loggia und ein Balkon verbinden die Innenräume mit der Umgebung und ermöglichen den nordwestlichen Blick über das abendliche Meer. Ein seitlicher Turm akzentuiert den Abschluss. Auch dieses Gebäude war im Sommer 1874 bezugsfertig und wurde nach der mecklenburgischen Prinzessin und Frau des Zarensohnes Wladimir „Großfürstin Marie“ benannt. Ein seeseitig vor das Demmlersche große Logierhaus gesetzter Erweiterungsbau wiederholt die Seefassade des Grand Hotels. Dadurch entsteht von der Seebrücke kommend eine Eingangssituation auf den Platz.
Die ursprünglich in einem sanften Bogen vor den Waldsaum gesetzte Perlenkette der Logierhäuser erhielt mit der Ladenzeile der Kolonnaden eine zweite Reihe. So entstand in Heiligendamm auch ein von Gebäuden umgrenzter Straßenraum. Ein Teil der geschützt hinter dem Säulengang gelegenen Läden wurde ebenfalls zur Saison 1874 eröffnet. Östlich des Hauses Bischofstab wurde ein neuer Kurpark angelegt, der mit seinem See (dem heutigen Golfteich), attraktiven Wegen und Brücken sehr anschaulich gewesen sein muss.
Alle nach 1873 durchgeführten baulichen Erweiterungen zerstörten die bisherige Anlage des Seebades nicht. Vielmehr wurden sie unter Bewahrung der bisher vorhandenen Baustruktur, den räumlichen Verhältnissen und den Gebäudeproportionen behutsam eingefügt. Somit konnte der Ort organisch wachsen, ohne seinen Charme zu verlieren. Heiligendamm war längst zur Weißen „Stadt“ am Meer geworden.